Rosa Rosenstock
geboren am 1. April 1882 in Volkmarsen, Hessen, Deutschland
ermordet 3. Juni 1942 in der deutschen Mordstätte Sobibor
Familie
Lebensdaten
Biografie
Die Familie Rosenstock gab es seit Anfang des 17. Jahrhunderts in Volkmarsen. Seit den 1830er Jahren gab es am Ort eine Synagoge, die 1936 verkauft wurde. 1932 existierten zwei jüdische Wohltätigkeitsvereine, ein Lehrer unterrichtete am Ort jüdische Religion. Die jüdischen Familien trieben Handel oder waren Handwerker. 1933 lebten noch 34 Jüdinnen und Juden in Volkmarsen.
Rosa Rosenstock wurde in Volkmarsen als jüngste Tochter von Hermann und Rike (Rufname Rika) Rosenstock geboren. Sie hatte zwei Geschwister, ihre drei Jahre ältere Schwester Maria (Rufname: Minna) wurde 1879 geboren, ihr Bruder Albert 1880. Schon in jungen Jahren war sie mit Todesfällen in ihrer Familie konfrontiert. Ihre Mutter verstarb, als Rosa 17 Jahre alt war, ihr Vater, als sie 15 Jahre alt war. Ihre Schwester verstarb 1907 als 28-Jährige, der nun verwitwete Schwager beging 1934 Selbstmord.
Rosa Rosenstocks Bruder Albert war Weltkriegsteilnehmer und verstarb 1919 an seinen Kriegsverletzungen. Seine Witwe und ihre Tochter emigrierten 1938 bzw. 1940 in die USA. Rosa Rosenstock bewohnte ihr kleines Haus in der Wittmarstraße 10 in Volkmarsen. Ihren Lebensunterhalt verdiente die allein stehende Frau als Putzmacherin. Sie fertigte, reparierte und verkaufte Damenhüte. Am 4. Juli 1938 lieferte Rosa Rosenstock beim Landesleihhaus Kassel “Edelmetalle“ ab, die in einer Nachkriegsaufstellung des Regierungspräsidiums Kassel in der Rubrik „hinterlassenes persönliches Eigentum“ erfasst waren.
Raub, Bevormundung und Einschränkungen
In der Reichspogromnacht, am 9. November 1938, wurde auch ihr Haus angegriffen und die Haustür eingeschlagen. Fünf Tage danach verkaufte sie das Haus unter Wert zum Preis von 2.500 Reichsmark. Ein halbes Jahr später erteilte das Regierungspräsidium Kassel die Genehmigung des Kaufvertrags, allerdings mit Auflagen. Es mussten 600 RM als „Ausgleichszahlung zu Gunsten des Reiches“ geleistet werden. Der Verkaufspreis musste auf das Sperrkonto 1781 bei der Kreissparkasse, auf dem sich ihr gesamtes Erspartes befand, eingezahlt werden. Von diesem Konto durfte Erna Rosenstock monatlich 100 Reichsmark für ihren Lebensunterhalt abheben.
Nach der Reichspogromnacht wurden die jüdischen Bewohnerinnen und Bewohner Volkmarsens, auch Rosa Rosenstock, beengt im ehemaligen jüdischen Volkmarser Schulhaus konzentriert - diese Maßnahme zielte schon auf die späteren Deportationen ab. Für die Bewohnerinnen und Bewohner dieses „Judenhauses“ gab es eine Reihe von Einschränkungen. Es gab ein nächtliches Ausgangsverbot. Ihnen wurden nur sehr knappe Lebensmittelmarken zugeteilt, sie erhielten weder Milch noch Fleisch noch Eier. Einige wenige christliche Bürgerinnen und Bürger aus Volkmarsen unterstützten sie. Ende 1941 setzten die Deportationen von Jüdinnen und Juden aus Nordhessen in den Osten ein. Den Betroffenen wurde eine Umsiedlung in den Osten vorgegaukelt, wo sie sich eine neue Existenz aufbauen könnten. Aus Kassel fuhren insgesamt drei große Deportationszüge in den Osten.
Rosa muss ihre Deportation selbst bezahlen
Am 27.5.1942 wurden auf Veranlassung der Finanzbehörde, vom Sperrkonto von Rosa Rosenstock 1.700 Reichsmark an die „Reichsvereinigung der Juden“ für ihren Abtransport in den Osten überwiesen. Rosa Rosenstock wurde zum 30.5.1942 in die „Sammelstelle“ in der Turnhalle des Schulkomplexes in der Kasseler Schillerstraße bestellt. Dort wurde sie registriert und ihr Gepäck durchsucht.
Am Morgen des 1. Juni 1942 wurde sie mit insgesamt 508 Jüdinnen und Juden aus dem Bezirk der Geheimen Staatspolizei Kassel zum nahen Hauptbahnhof geführt, wo der Sonderzug „Da 57“ bereitstand. Die Streckenführung von „Da 57“ verlief von Hanau u.a. über Kassel und Halle nach Sobibor. Mit diesem Deportationszug wurden etwa 1.000 Juden und Jüdinnen aus über siebzig verschiedenen Orten v.a. aus Hessen und Sachsen-Anhalt in den Osten verschleppt. Der Zielbahnhof des Transportzuges, in dem sich Rosa Rosenstock befand, war Izbica. Izbica war ein jüdisches Sztetl im „Distrikt Lublin“, mit etwa 7.000 Einwohner*innen, davon 80 Prozent jüdischen Glaubens. Izbica war für insgesamt 27.000 Jüdinnen und Juden eines von über zwanzig „Durchgangsghettos“ im „Distrikt Lublin“ im Generalgouvernement. Hier wurden die verschleppten Menschen für die geplante Ermordung konzentriert und in neuen Transporten zusammengefasst, damit einhergehend wurden hier die Todgeweihten ihrer letzten kläglichen Habe beraubt. In Izbica kamen etwa 7.500 Jüdinnen und Juden aus dem Deutschen Reich an, etwa 20.000 kamen aus Österreich, Tschechien, der Slowakei und Luxemburg. Allerdings war das erste Ziel des Sonderzugs „Da 57“ nicht wie angegeben Izbica, sondern das Anschlussgleis zum Zwangsarbeitslager „Alter Flughafen“ in Lublin. Dort wurden aus dem Transport etwa 115 junge, starke Männer zur Zwangsarbeit für das Todes- und Konzentrationslager Majdanek ausgewählt und die Gepäckwagen mit dem schweren Gepäck abgekoppelt.
Der Sonderzug „Da 57“ fuhr vom Anschlussgleis“ Alter Flughafen“ auf direktem Weg nach Sobibor, wo er am 3. Juni 1942 ankam. Die sechzigjährige Rosa Rosenstock aus Volkmarsen wurde unmittelbar nach ihrer Ankunft im Vernichtungslager Sobibor ermordet. Zwei Wochen nach Rosas Deportation zog das Finanzamt Kassel-Innenstadt die restlichen 2.572,30 RM vom Sperrkonto von Rosa Rosenberg ein. (Im Wiedergutmachungsverfahren 1954 wurden der Erbin 340 DM als Entschädigung für die geleisteten Transportkosten in den Tod von Rosa Rosenstock zugestanden.)
Verwendete Dokumente und Literatur
Website des Archivs ITS Arolsen
Website Gedenkbuch des Bundesarchivs
Website Statistik des Holocaust
Gottwald, Alfred/ Schulle, Diane, Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich 1941-1945, 2005
Hänschen, Steffen, Das Transitghetto Izbica im System des Holocaust, 2018
Kingreen, Monika u.a., Hanauer Juden 1933-1945, Entrechtung, Verfolgung, Deportation, 1998
Klein, Ernst, Verschwundene Nachbarn – verdrängte Geschichte, 2012 Klein, Ernst, Volkmarsen, Was geschah mit dem Eigentum der Rosa Rosenstock?, unveröffentlichtes Manuskript, ohne Datumsangabe
Kammler, Jörg u.a., Hg., Volksgemeinschaft und Volksfeinde, Kassel 1933 – 1945, Bd. I und II, 1984 und 1987
Klein, Ernst in: Waldecksche Landeszeitung vom 16.8.2012
Kleinert, Beate und Prinz, Wolfgang, Namen und Schicksale der Juden Kassels 1933 – 1945, Ein Gedenkbuch, Hg. Magistrat der Stadt Kassel-Stadtarchiv, 1986
Lilienthal, Marion u.a. (Hg.), Auf Omas Geburtstag fahren wir nach P., Die gewaltsame Verschleppung von Juden aus Waldeck-Frankenberg 1941/1942, Riga, Sobibor/Majdanek, Theresienstadt, 2013