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Susanne `Susi´ Hamberg

geboren am 11. August 1929 in Breuna, Hessen, Deutschland
ermordet am 3. Juni 1942 in der Mordstätte Sobibor

Familie

Mutter: Betty Hamberg, geborene Pulver geboren am 11. September 1898 in Westheim, Bayern, Deutschland ermordet am 3. Juni 1942 in der Mordstätte Sobibor Vater: Moritz Hamberg geboren am 15. Juli 1885 in Breuna, Hessen, Deutschland ermordet am 3. Juni 1942 in der deutschen Mordstätte Sobibor Schwester: Irmgard `Irma´ Hamberg geboren am 5. Juni 1923 in Breuna, Kreis Kassel ausgewandert 1940 in die USA gestorben am 19. Januar 2006 in den USA

Lebensdaten

1929 Geburt in Breuna 1936 Einschulung 1937 Umzug ins Nachbardorf, um dort zur Schule zu gehen 1938 erlebt die gewalttätigen Übergriffe von Nazis in ihrem Elternhaus 1938 Inhaftierung in Volkmarsen für eine Nacht, zusammen mit ihrer Mutter und Schwester 1938 Inhaftierung des Vaters im Konzentrationslager Buchenwald 1938 Erkrankung der Mutter 1940 Umzug nach Kassel, um die Schule zu besuchen 1940 Flucht der sechs Jahre älteren Schwester in die USA 1942 Verschleppung und Ermordung in Sobibor
Porträtfoto
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Das Kaufhaus der Familie Hamberg in Breuna


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Die Schwestern zusammen mit Freundinnen - Susi Hamberg vorne rechts, Irmgard Hamberg hinten links


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Biografie

Susanne Hamberg lebte mit ihrer Familie im Geburtshaus ihres Vaters Moritz Hamberg im nordhessischen Breuna im Kirchweg 6. Mit im Haus wohnte ihr Onkel Hermann, der jüngere unverheiratete Bruder des Vaters. Die beiden Brüder stammten aus einer großen Familie mit insgesamt elf Geschwistern. Die Familie Hamberg gab es in Breuna seit Anfang des 19. Jahrhunderts. Am Ort gab es noch eine weitere jüdische Familie und ein älteres jüdisches Ehepaar. Von 1876 bis 1938 gab es am Ort eine kleine Synagoge, die für die Gemeindemitglieder der Umgebung als Gebetsraum diente. 


Susannes Eltern versorgten sich und ihre Familie mit einer kleinen Landwirtschaft, es gab eine Kuh, ein Pferd und einige Hühner, dazu einen Gemüsegarten und Ackerland. Zudem betrieben sie im Erdgeschoß ihres Hauses ein gut gehendes Ladengeschäft. Kunden dieses Ladens waren die Nachbarn und vor allem die Bauern der Umgebung. Die Hambergs gewährten bei Bedarf Kredit und holten vor Weihnachten ihre Kunden mit Bussen zum Einkauf aus den nahen Dörfern ab. Die Hambergs waren als Juden bekannt und respektiert. Die beiden Kinder spielten mit ihren Freunden aus dem Dorf und besuchten sich gegenseitig, zumindest die ältere Schwester besuchte für einige Jahre die örtliche Volksschule.


Die ältere Schwester Irmgard, einzige Überlebende der kleinen Familie, beschrieb in einem Interview der Shoa Foundation 1997 anschaulich die Ausgrenzung und Entrechtung der Familie nach 1933. 


Ob die sechs Jahre jüngere Schwester Susanne überhaupt in die Volksschule Breuna eingeschult wurde, ist nicht bekannt. Bekannt ist, dass sie 1937 in einem Nachbardorf eine Schule für jüdische Kinder besuchte, in der ein Cousin des Vaters unterrichtete, bei dem sie auch wohnte. Die Trennung von den Eltern fiel dem kleinen Mädchen schwer, nur in den Ferien und an Feiertagen durfte sie ihre Familie in Breuna besuchen.  




Die Ausgrenzung und Verfolgung nimmt zu

Susi musste die Reichspogromnacht in Breuna hautnah erleben: SA-Männern und Dorfbewohner versammelten sich vor ihrem Haus – die Fenster wurden eingeschlagen, die Inneneinrichtung zerstört. Die Familie bangte um ihr Leben, sie verbarrikadierten sich in einem hinteren Raum. Die Familie wurde im benachbarten Volkmarsen eine Nacht inhaftiert. Der Vater wurde nach Buchenwald verschleppt. Er kehrte nach einigen Wochen alt, ergraut und verstummt in sein Dorf zurück. Die Mutter erholte sich nach diesen Vorgängen nicht und kränkelte. Der Boykott jüdischer Geschäfte traf die Familie hart. Zu den Existenzängsten gesellte sich Angst vor Gewalt und neuen Erlassen und Einschränkungen. 


Susanne wohnte ab 27.10.1940 in einem „Judenhaus“ in der Kasseler Große Rosenstraße 22, vermutlich um eine jüdische Schule zu besuchen, da jüdische Kinder nach der Reichspogromnacht vom Besuch der öffentlichen Schulen ausgeschlossen waren. 


Die Familie sah für sich keine Zukunft in Breuna und bemühte sich um eine Einreiseerlaubnis in die USA, wo bereits Verwandte lebten. Nur die ältere Schwester Irmgard konnte der weiteren antisemitischen Verfolgung rechtzeitig entkommen: Die amerikanischen Verwandten hatten ihr die notwendige Bürgschaft ausgestellt, Voraussetzung für ein Visum für die Vereinigten Staaten.  Sie floh im August 1940 in die USA. Der Abschied war schwer. Die Mutter segnete sie, der Vater brachte sie zum Hauptbahnhof in Kassel. Irmgard war froh darüber, dass sie ihre kleine Schwester Susi nicht verabschieden konnte, weil sie in der Schule war. Am 28. April 1942 schickten die Eltern aus Breuna eine Geburtstagskarte an ihre Tochter nach New York, die sie kurz vor ihrem Geburtstag Anfang Juni erhielt – da waren ihre Eltern und ihre Schwester Susanne bereits ermordet.




Raub und Deportation nach Sobibor

Für die zweite von den drei großen zentral organisierten Deportationen aus dem Regierungsbezirk Kassel stehen sechs Personen aus Breuna auf der Deportationsliste des Internationalen Suchdienstes Arolsen. Die Familie Moritz Hamberg, Vater, Mutter und Tochter Susanne, und der jüngere Bruder des Vaters wurden zum 31. Mai 1942 in die „Sammelstelle“, die Turnhalle der Wörth-Schule in der Kasseler Schillerstraße bestellt. Hier wurden sie registriert und ihr Gepäck durchsucht. Für die „Aussiedlung in den Osten“ waren fünzig Kilogramm Gepäck und fünfzig Reichsmark pro Person erlaubt, das gesamte vorhandene Hab und Gut der Familie wurde staatlich konfisziert.


Die Familie Moritz Hamberg wurde am Morgen des 1. Juni 1942 mit insgesamt 508 jüdischen Kindern, Frauen und Männern aus dem GeStaPo-Bezirk Kassel von der „Sammelstelle“ in der Schillerstraße zum nahen Hauptbahnhof geführt, wo der Sonderzug „Da 57“ bereitstand. Die Streckenführung von „Da 57“ verlief von Hanau u.a. über Kassel und Halle nach Sobibor. Mit diesem Deportationszug wurden etwa 1000 Jüdinnen und Juden aus über 70 verschiedenen Orten v.a. aus Hessen und Sachsen-Anhalt in den Osten verschleppt.

Der Zielbahnhof des Transportes war Izbica. Izbica war ein jüdisches Schtetl im „Distrikt Lublin“, mit etwa 7.000 Einwohnern, davon 80 Prozent jüdischen Glaubens. Izbica war für insgesamt 27.000 Jüd*innen eines von über zwanzig „Durchgangsghettos“ im Distrikt Lublin im Generalgouvernement. Hier wurden die verschleppten Jüd*innen für die geplante Ermordung konzentriert und in neue Transporte zusammengefasst, damit einhergehend wurden hier die Todgeweihten ihrer letzten kläglichen Habe beraubt. In Izbica kamen etwa 7.500 Menschen Jüdinnen und Juden aus dem Deutschen Reich an, etwa 20.000 aus Österreich, Tschechien, der Slowakei und Luxemburg.


Allerdings war das erste Ziel des Sonderzuges “Da 57“ nicht wie angegeben Izbica, sondern das Anschlussgleis zum Zwangsarbeitslager „Alter Flugplatz“ in Lublin. Dort wurden aus dem Transport etwa 115 junge, starke Männer zur Zwangsarbeit für das Todes- und Konzentrationslager Majdanek ausgewählt und hier wurden auch die Gepäckwagen mit dem schweren Gepäck abgekoppelt.


Dieser Zug jedoch fuhr anschließend direkt nach Sobibor weiter, wo er am 3. Juni 1942 ankam, ab Juni 1942 fuhr kein Deportationszug mehr über Izbica. Die verschleppten Mitglieder der Familie Hamberg aus Breuna wurden unmittelbar nach ihrer Ankunft im deutschen Mordlager Sobibor ermordet. Susi Hamberg war erst 13 Jahre alt.




Irmgard Hambergs Erinnerungen an ihre Kindheit in Breuna

„Mein Name ist Irma Meyer. Ich bin 1923 in Breuna, im Bezirk Kassel, geboren, die Tochter von Moritz und Betty Hamberg und Enkelin von Baruch Hamberg. Ich hatte eine Schwester, Susanne, die 1929 geboren war. Meine Familie hat viele Generationen in Breuna gelebt. Unser Familienname ist nach dem Berg “Hamberg” benannt worden, als es den Juden am Anfang des 19. Jahrhunderts erlaubt wurde, Nachnamen anzunehmen. Bis zur Hitler Zeit hatten wir ein gutes Verhältnis mit unseren Mitbürgern. Wir hatten etwas Landwirtschaft und ein kleines, aber gutgehendes Geschäft, welches vielen Kunden in der Umgebung gedient hat.


Als Hitler zur Macht kam haben diese Leute, die uns freundlich gesonnen waren, sich plötzlich gegen uns gewandt und uns als Feinde angesehen. Die Maßnahmen gegen die Juden wurden stetig härter. Zum Beispiel: Wir durften nicht nach acht Uhr abends auf der Straße sein, oder mussten eine besondere Erlaubnis haben, etwas Wichtiges zu erledigen. Wir konnten nur zweimal die Woche unsere Lebensmittel einkaufen und dann nur morgens vor acht Uhr, damit wir nicht mit “Ariern” in Kontakt kämen. Keiner durfte uns in irgendeiner Weise behilflich sein. Für mich persönlich wurden die Schuljahre unerträglich. Ich war zu dieser Zeit das einzige jüdische Kind in der Schule, und musste alleine in einer Ecke sitzen, getrennt von den anderen Kindern. Während der “Religionsstunde” war ich entschuldigt, aber es wurde keine Religion gelehrt, sondern Haß gegen die Juden verbreitet. Bilder aus dem “Stürmer” wurden gezeigt. Die Kinder waren so aufgehetzt, dass jedes Mal, wenn ich zur Klasse zurückkehrte, sie mich angespuckt und auch oft meine Kleider zerrissen haben. Zur Mittagsstunde wurde mir das Butterbrot aus der Hand geschlagen. Täglich musste ich mir diese hasserfüllten Worte anhören, und meine Eltern wussten nie, in welcher Verfassung ich nach Hause kam.


Dann kam der 9. November 1938: Wir hörten Gerüchte, dass etwas Schlimmes passieren würde. Aber wir hatten keine Ahnung, was zu erwarten war. Früh am Morgen wurden mein Vater und Viktor Braunsberg von der Polizei abgeholt, die uns keine Auskunft gab, wo sie ihn hinführten. Ab und zu während des Tages hat man Steine gegen unser Haus geworfen. Wir fragten die einzige andere jüdische Familie in Breuna, Emmy Braunsberg, mit ihren alten Schwiegereltern, zu uns zu kommen, um aneinander Trost zu finden. Um uns zu beschützen, haben wir oben in einem Zimmer nach hinten gesessen, und einen Schrank vor das Fenster gestellt, damit wir nicht von den Steinen getroffen wurden. Eine Menschenmenge hatte sich draußen angesammelt. Wir hörten die Fensterscheiben fallen. Wir hatten große Angst und wussten kaum, was zunächst geschehen würde. Dann, mit einem furchtbaren Krach, kam die Nazihorde durch die Türe, mit Beilen, Latten und Stöcken bewaffnet, und haben alles in ihrem Weg zerbrochen. Wir wurden aus dem Haus kommandiert, auf einen Lastwagen geladen, wo wir zusehen mussten, wie unser Haus zerstört wurde. Zur selben Zeit sahen wir unsere Synagoge in Flammen aufgehen. Diesen Anblick werde ich nie vergessen! Wir wurden dann nach Volkmarsen zum Polizeiamt gefahren und in sogenannte Schutzhaft genommen, wo wir einige Tage in einer Zelle verbrachten. Es war besonders schwer für das alte Ehepaar, Mathias und Helene Braunsberg, die damals fast 80 Jahre alt waren. Wir wurden dann entlassen und durften wieder nachhause gehen. Was wir vorfanden, war unbeschreiblich. Alles war vernichtet. Noch nicht mal eine Tasse oder ein Glas war da zum Trinken. Die Bettkissen waren aufgerissen und Federn waren überall. Alle Möbel waren zerhackt. Es dauerte Tage, bis wir die Trümmer aufgeräumt hatten. Während dieser ganzen Zeit wussten wir nicht, wo mein Vater war. Dann hörten wir, dass er in Buchenwald wäre, und freigesetzt würde, wenn er beweisen könnte, dass er im Ersten Weltkrieg ausgezeichnet wurde. Wir schickten ihm die Beweise, und nach ungefähr vier Wochen kam mein Vater zurück, ein alter, gebrochener Mann. Ich konnte ihn kaum wiedererkennen. Er hatte sehr in Buchenwald gelitten, konnte aber nicht darüber sprechen.


Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, mussten wir unser Haus verlassen und bei den Braunsbergs einziehen. Das Haus wurde uns einfach weggenommen und Leuten gegeben, die von der französischen Grenze zurückziehen mussten. In der Zwischenzeit hatten wir unser Geschäft verloren. Mein Vater und Viktor Braunsberg wurden zur Straßenarbeit in Kassel gezwungen. Das Leben wurde täglich schwerer für uns. Wir hatten dann nur den einzigen Wunsch, das Land zu verlassen, und haben uns sehr bemüht, nach den Vereinigten Staaten auszuwandern. Ich war die erste in meiner Familie, die Bürgschaft zu bekommen. Meine Wartenummer beim Amerikanischen Konsulat war viel niedriger als die meiner Eltern und Schwester. Es ist mir gelungen, im August 1940 wegzukommen. Da durch den Krieg die Reise über den Atlantik gesperrt war, musste ich den viel weiteren Weg nach Osten wählen, und zwar durch Litauen, Russland, Sibirien, Mandschurei und Japan, dann über den Stillen Ozean nach Seattle, USA. Die Reise dauerte ungefähr vier Wochen, bis ich in New York ankam.“


Quelle:
Lebenserinnerungen Irmgard Meyer, geborene Hamberg, 1988
in: Ernst Klein, Verschwundene Nachbarn – verdrängte Geschichte, 2012




Verwendete Dokumente und Literatur

Website des Archivs ITS Arolsen

Website Gedenkbuch des Bundesarchivs

Website Statistik des Holocaust

Website Alemmannia Judaica Breuna

Hänschen, Steffen, Das Transitghetto Izbica im System des Holocaust, 2018

Gottwald, Alfred/ Schulle, Diane, Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich 1941-1945, 2005

Kingreen, Monika u.a., Hanauer Juden 1933-1945, Entrechtung, Verfolgung, Deportation, 1998

Klein, Ernst, Verschwundene Nachbarn – verdrängte Geschichte, 2012

Lilienthal, Marion u.a. (Hg.), Auf Omas Geburtstag  fahren wir nach P., Die gewaltsame Verschleppung von Juden aus Waldeck-Frankenberg 1941/1942, Riga, Sobibor/Majdanek, Theresienstadt,  2013

Magistrat der Stadt Kassel – Stadtarchiv, Hg., Namen  und Schicksale der Juden Kassels 1933 – 1945 Lebenserinnerungen Irmgard  Meyer, geborene Hamberg, 1988

Kleinert, Beate und Prinz, Wolfgang Prinz, Ein Gedenkbuch, 1982

Die Familie Hamberg aus Breuna, jimh.lima-city.de


Interview:

Interview mit Irma Meyer, geb. Hamberg, USC Shoah Foundation; 21.5.1997, Pennsylvania, USA - online verfügbar




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