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Hertha Lieberg

geboren am 26. Oktober 1898 in Berlin, Deutschland
ermordet am 3. Juni 1942 in der deutschen Mordstätte Sobibor

Familie

Ehemann: Wilhelm Lieberg geboren am 19. Dezember 1893 in Kassel, Hessen, Deutschland umgekommen am 8. September 1942 im Konzentrations- und Todeslager Majdanek Tochter: Marion Lieberg geboren am 16. Februar 1924 in Kassel, Hessen, Deutschland ausgewandert im Mai 1939 nach Groß England gestorben am 19. Juni 1996 in den USA Sohn: Wolfgang Lieberg geboren am 5. Juni 1927 in Kassel, Hessen, Deutschland gestorben am 5. Juni 1929 in Kassel, Hessen, Deutschland Sohn: Ralf Michael Lieberg geboren am 16. Juni 1933 in Kassel, Hessen, Deutschland ermordet am 3. Juni 1942 im Mordlager Sobibor

Lebensdaten

1898 Geburt in Berlin 1922 Heirat mit dem Unternehmersohn Wilhelm Lieberg aus Kassel 1924 Geburt der Tochter Marion 1927 Geburt des Sohnes Wolfgang 1927 Übernahme des Betriebs durch ihren Ehemann 1929 Tod des Sohnes Wolfgang 1933 Geburt des Sohnes Ralf-Michael 1938 Inhaftierung ihres Ehemannes im Konzentrationslager Buchenwald 1938 Zwangsverkauf des Betriebes und Berufsverbot für den Ehemann 1938 Flucht der beiden Schwägerinnen in die Schweiz bzw. Palästina 1938 Schulverbot für die Tochter Marion 1939 Tochter Marion geht mit einem Kindertransport nach England 1940 Zwangsarbeit des Ehemannes im eigenen ehemaligen Betrieb 1942 Deportation gemeinsam mit Ihrem Ehemann und Sohn 1942 Inhaftierung und Tod ihres Ehemannes im KZ Majdanek 1942 Ermordung, gemeinsam mit ihrem jüngsten Sohn in Sobibor
Porträtfoto
Porträtfoto

Hertha mit den beiden Kindern Marion und Wolfgang, 1927


Porträtfoto

Hertha Lieberg 1920 auf Norderney


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Herthas Kinder Marion und Ralf


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Ralf Lieberg, 1935


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Biografie

Hertha Lieberg, geborene Hirsch, wuchs in Berlin auf. Am 28. Juni 1922 heiratete sie den in einer gutbürgerlichen Unternehmerfamilie aufgewachsenen Wilhelm Lieberg aus Kassel.

Kassel war eine der größten städtischen jüdischen Gemeinden des Reiches, Ende des 19. Jahrhunderts mit fast 3000 Mitgliedern. Die jüdischen Bewohnerinnen und Bewohner trugen entscheidend zum wirtschaftlichen, geistigen und kulturellen Leben der Stadt bei. Das städtische Judentum setzte sich vor allem aus assimilierten und liberalen, aber auch streng gläubigen Juden zusammen. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts gab es eine große Synagoge und eine kleine für orthodox orientierte Juden. Viele Gemeindemitglieder engagierten sich in zahlreichen Wohltätigkeits- und anderen Vereinen und Einrichtungen. Zum jüdischen Leben in Kassel gehörten u.a. ein Krankenhaus, ein Altersheim, ein Waisenhaus, ein Kinderhort. Im Ersten Weltkrieg fielen 62 jüdische Männer. 1933 lebten noch 2300 Jüdinnen und Juden in Kassel. Die jüdische Schule besuchten in diesem Jahr 176 Kinder. Bis 1936 wanderten 400 Kasseler Jüdinnen und Juden aus.


Die Familie Lieberg lebte bis 1926 in ihrem Haus in der Hohenzollernstraße 78 und zog dann in die Lessingstraße 18 um. Sie bekamen drei Kinder, die älteste Tochter Marion wurde 1924 geboren, der Sohn Wolfgang 1927, der an seinem zweiten Geburtstag verstarb, 1933 wurde der Sohn Ralf Michael geboren.


Der Familienbetrieb der Liebergs war in der Metallverarbeitung tätig und hatte seinen Firmensitz im Messinghof im Industriegebiet Bettenhausen, das Anfang des 20. Jahrhunderts nach Kassel eingemeindet worden war. Wilhelm Lieberg übernahm nach dem Tod seines Vaters Moritz Lieberg 1927 den Messinghof; Mitgesellschafterinnen waren seine beiden Schwestern Erna, verheiratete Sander, und Margarethe, verheiratete Garthe. Ein weiterer Gesellschafter und Geschäftsführer war der schweizerische Verwandte Kurt Kaufmann.




Verfolgung und Raub, Vertreibung

Mit der Machtübergabe an die Nationalsozialisten begann die sukzessive Ausgrenzung und Verfolgung und der Raub an den jüdischen Bewohnerinnen und Bewohnern. Wilhelm Liebergs Familie und das Unternehmen erfuhren von Anfang an eine besondere Aufmerksamkeit durch die Nationalsozialisten. Schon am 26. August 1933 wurde ein Neffe ihres Ehemannes Wilhelm Lieberg wegen „Kontakte zu deutschen Frauen“ von einer aufgebrachten Menschenmenge durch Kassels Straßen geführt. Sein Teilhaber und Mitgeschäftsführer Kurt Kaufmann kehrte nach diesen Übergriffen dem Deutschen Reich den Rücken und zog in die Schweiz zurück, die Geschäfte leitete er von dort aus.


Im Zuge des Novemberpogroms 1938 wurde Wilhelm Lieberg - wie weitere 250 Kasseler jüdische Männer - verhaftet und in das 200 Kilometer entfernte Konzentrationslager Buchenwald verschleppt und für mehrere Wochen festgehalten. Während seiner Haftzeit wurde der Messinghof enteignet und „arisiert“ und weit unter Wert verkauft. (In einem Entschädigungsverfahren nach dem Krieg wurde der Verkaufspreis als fair eingestuft, Treuhänder in diesem Verfahren war allerdings der Geschäftsführer des Nachfolgebesitzers.) Zudem wurde Wilhelm Lieberg 1938 eine beträchtliche Judenvermögensabgabe von annähernd 50.000 Reichsmark auferlegt.

Die wertvolle Gemäldesammlung des Onkels von Wilhelm Lieberg wurde mit dem übrigen Vermögen des Unternehmers 1939 einer Sicherungsanordnung unterworfen und später versteigert.

Die beiden Schwestern und Mitgesellschafterinnen waren bereits 1938 in die Schweiz und nach Palästina ausgewandert.


Nach dem Schulverbot für jüdische Kinder vom November 1938 konnte die Tochter Marion in Kassel keine entsprechende Schulausbildung mehr machen. Dem Ehepaar Lieberg gelang es, für die Fünfzehnjährige einen Platz in einem der Kindertransporte nach Großbritannien zu bekommen. So konnte sie im Mai 1939 in das rettende Ausland flüchten. 1946 heiratete sie einen US-Bürger und emigrierte in die USA.

Hertha Liebergs Ehemann Wilhelm arbeitete ab Beginn des 2. Weltkrieges als einfacher Arbeiter gegen ein geringes Entgelt in seiner ehemaligen eigenen Firma.




Deportation nach Majdanek und Sobibor

Zum 31.5.1942 wurden Hertha, ihr Ehemann Wilhelm und der 9-jährige Sohn Ralf in die `Sammelstelle´ in der Turnhalle der Wörth-Schule in der Kasseler Schillerstraße zur „Aussiedlung in den Osten“ bestellt. Hier wurden sie registriert und ihr Gepäck durchsucht. Es waren fünfzig Kilogramm Gepäck und an Geldwert fünfzig Reichsmark pro Person erlaubt.

Die Familie Lieberg wurde am Morgen des 1. Juni 1942 mit insgesamt 508 jüdischen Kindern, Frauen und Männern aus dem Bezirk Kassel der Geheimen Staatspolizei von der „Sammelstelle“ in der Schillerstraße zum nahen Hauptbahnhof geführt, wo der Sonderzug „Da 57“ bereitstand. Die Streckenführung von „Da 57“ verlief von Hanau u.a. über Kassel und Halle nach Sobibor. Mit diesem Deportationszug wurden etwa 1.000 Juden und Jüdinnen aus über siebzig verschiedenen Orten v.a. aus Hessen und Sachsen-Anhalt in den Osten verschleppt.

Der Zielbahnhof des Transportes war Izbica. Izbica war ein jüdisches Sztetl im „Distrikt Lublin“, mit etwa 7.000 Einwohnern, davon 80 Prozent jüdischen Glaubens. Izbica war für insgesamt 27.000 Jüdinnen und Juden eines von über zwanzig „Durchgangsghettos“ im „Distrikt Lublin“ im Generalgouvernement. Hier wurden die verschleppten Jüdinnen und Juden für die geplante Ermordung konzentriert und in neuen Transporten zusammengefasst, damit einhergehend wurden hier die Todgeweihten ihrer letzten kläglichen Habe beraubt. In Izbica kamen etwa 7.500 Jüdinnen und Juden aus dem Deutschen Reich an, etwa 20.000 kamen aus Österreich, Tschechien, der Slowakei und Luxemburg.

Allerdings war das erste Ziel des Sonderzugs „Da 57“ nicht wie angegeben Izbica, sondern das Anschlussgleis zum Zwangsarbeitslager „Alter Flughafen“ in Lublin. Dort wurden aus dem Transport etwa 115 junge, starke Männer zur Zwangsarbeit für das Todes- und Konzentrationslager Majdanek ausgewählt. Unter diesen Männern befand sich auch der Ehemann von Hertha Lieberg. Unter der Häftlingsnummer 10177 wurde der Tod von Wilhelm Lieberg am 8. September 1942 im Todes- und Konzentrationslager Majdanek registriert.


Der Sonderzug „Da 57“ fuhr vom Anschlussgleis „Alter Flughafen“ direkt nach Sobibor weiter. Ab Juni 1942 fuhr kein Deportationszug mehr zu einem Transitghetto, auch nicht nach Izbica. “Da 57“ kam am 3. Juni 1942 in Sobibor an; Hertha Lieberg und ihr Sohn Ralf wurden unmittelbar nach ihrer Ankunft in Sobibor ermordet.




Verwendete Dokumente und Literatur

Website des Archivs ITS Arolsen

Website Gedenkbuch des Bundesarchivs

Website Statistik des Holocaust

Website Stolpersteine Kassel 

Gottwald, Alfred/ Schulle, Diane, Die „Judendeportationen“ aus dem Deutschen Reich 1941-1945, 2005

Hänschen, Steffen, Das Transitghetto Izbica im System des Holocaust, 2018

Kammler, Jörg u.a., Hg., Volksgemeinschaft und Volksfeinde, Kassel 1933-1945, Bd. I und II, 1984 und 1987

Kingreen, Monika u.a., Hanauer Juden 1933-1945, Entrechtung, Verfolgung, Deportation, 1998

Klein, Ernst, Verschwundene Nachbarn – verdrängte Geschichte, 2012

Kleinert, Beate und Prinz, Wolfgang, Namen und Schicksale der Juden Kassels 1933 – 1945, Ein Gedenkbuch, Hg. Magistrat der Stadt Kassel-Stadtarchiv, 1986

Lilienthal, Marion u.a. Hg., Auf Omas Geburtstag fahren wir nach P., Die gewaltsame Verschleppung von Juden aus Waldeck-Frankenberg 1941/1942, Riga, Sobibor/Majdanek, Theresienstadt, 2013

Matthäus, Wolfgang, Kaiserstraße 13. Geschichten vom jüdischen Leben im Vorderen Westen, in Kassel und Region, 2014

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